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DISARSTAR vereint Straße und linke Theorie, Wortmacht und Pop, Attacke und Systemkritik: Inmitten einer weltweiten Pandemie fand der Hamburger die Kraft und die Worte für sein bislang pointiertestes und bestes Album. „Deutscher Oktober“ wurde am 12. März 2021 veröffentlicht. Es ist das politische Manifest, das Deutschrap jetzt unbedingt braucht.

Die klassische Rap-Erzählung geht so: Underdog schlägt sich irgendwie auf der Straße durch und sehnt sich nach Geld, Frauen, Autos, Bling-Bling. Hip-Hop als einziges Ticket aus dem Ghetto, sozusagen. Aber wenn der Erfolg dann wirklich kommt, findet eine vollkommende Assimilierung des Protagonisten mit der kapitalistischen Glitzerwelt statt. Das neoliberale Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Märchen: Wenn du es nicht geschafft hast, bist du nicht gut oder hart genug. Auch bei DISARSTAR haben wir es auf den ersten Blick mit einer typischen Streetrap-Biografie zu tun: Als Teenager kam er eine Weile ins Heim, lebte dann alleine auf St. Pauli, hatte mit Drogen zu tun, es gab Vorstrafen wegen Dealerei und Körperverletzung.

Dann erfahren wir, dass DISARSTAR eigentlich aus einer ganz normalen Mittelstandsfamilie stammt – die in eine wirtschaftliche Krise geriet, die den Jungen aus der Bahn warf. Dass er seine spätere Krise dank der Hilfe eines engagierten Sozialarbeiters überwand, anschließend – durch Kontakte in die linke Hamburger Szene – mit den Schriften von Karl Marx in Berührung kam, dass er schließlich sein Abitur nachholte und heute nebenbei studiert. Wir merken also: Ganz so einfach ist es nicht. DISARSTAR ist so widersprüchlich und voller Ecken und Kanten wie der Bezirk, in dem er wohnt – St. Pauli. Der sogenannte Kiez, der von außen oft wie ein riesiges Freiluftmuseum wirkt, das von seiner Beatles-, Hans-Albers- und Rotlicht-Nostalgie lebt, ohne die vielen Obdachlosen, Junkies, Gangster, Sexarbeiter*innen und Alkoholiker aber undenkbar wäre. „Für die Alkis und Junkies gab es keinen Lockdown“, sagt DISARSTAR. „Da konnte sich niemand zuhause auf die Couch legen.“

Es geht also um die soziale Frage, um Gerechtigkeit. Dass diesbezüglich einiges im Argen liegt, wurde DISARSTAR während des ersten coronobedingten Lockdowns noch ein bisschen drastischer vor Augen geführt als sonst. Der gebürtige Hamburger lebt seit seinem 17. Lebensjahr auf St. Pauli, die soziale Schräglage in diesem Kiez ist ihm wohlbekannt. Aber wie in vielen anderen Bereichen wirkte Corona auch hier wie ein Brennglas: Erst als die Touristen weg waren, breitete sich das soziale Elend unverblümt vor einem aus. Ein Ausgangspunkt und eine wesentliche Inspiration für das neue DISARSTAR-Album „Deutscher Oktober“, das am 12. März 2021 erschienen ist.

„Meine Stadt ist wie zweigeteilt... bettelarm und unverschämt reich“, heißt es in dem Song „Großstadtfieber“ mit dem befreundeten Rapper Dazzit. Im Hintergrund hört man die Stimme einer Fremdenführerin, die Touristen durch das Villenviertel Blankenese führt. St. Pauli und Blankenese – beide Hamburger Bezirke liegen dicht beieinander: Hop oder top, Straße oder akademische Laufbahn.
„Die Welt ist sick, der eine frisst ‘n Steak, der andere nichts, sie treten auf uns ein mit ihren Tricks“, rappt DISARSTAR in der ersten Single „Sick“. Die Grenze verläuft also zwischen oben und unten, eine Erkenntnis, die im deutschen Rap seltsamerweise kaum vorkommt. Weswegen DISARSTAR auf „Deutscher Oktober“ mit seiner Szene hadert. „Rap ist total gut darin, Umstände oberflächlich zu beschreiben“, sagt er. „Wenn man ein Album von Haftbefehl kauft, bekommt man einen sehr authentischen Eindruck von seinen Lebensumständen. Was im Rap aber fast immer fehlt, sind die politischen Rückschlüsse, die sich aus diesen Beobachtungen ergeben.“

Bereits im Intro des Albums nimmt DISARSTAR Deutschrap für diese Bequemlichkeit in Haftung. „Dass du Frauen und Schwule hasst, ist deinem Label egal/Die bringen die Songs zu Spotify und die CDs ins Regal“, rappt er. „Du hast die Chance, die Lage zu kritisieren, in der die Leute sind.“ Es geht natürlich um die ganze zynische Durchkommerzialisierung, mittels derer die eigene Ghetto-Herkunft und Gangster-Vergangenheit vieler Deutschrap-Protagonisten zu Marketing-Tools umgemünzt werden. Der Song „Tsunami“ schlägt mit der absolut vernichtenden Zeile „Wärst du nicht aus’m Ghetto, dann wärst du der Wendler“ in eine ähnliche Kerbe. DISARSTAR liest Deutschrap mit klassischen Diss-Tracks die Leviten, die aber eben von inhaltlicher Kritik und nicht von persönlichen Ressentiments leben. Er stellt die Klassenfrage. Das ist im deutschen Rap auf diesem Niveau ein Novum. „Ich bin keiner von euch“, heißt es an einer Stelle.
Das hinter solchen Zeilen stehende politische Bewusstsein hat DISARSTAR schon immer ausgezeichnet. Aber selten hat er es so auf den Punkt gebracht wie auf „Deutscher Oktober“. Es geht auf diesem Album nicht um die großen Thesen, die politischen Leitplanken oder Theoriekonstrukte, für die DISARSTAR sonst bekannt ist. Er berichtet vielmehr im Stil eines Reporters aus dem ihm wohl bekannten Mikrokosmus. Das macht das Album so stark: Meine Straße, meine Leute, mein Block. Nur anders.

Die Inspiration für seinen taffen Sozialrealismus findet DISARSTAR vor allem in Frankreich, den USA und England. „In diesen Ländern gibt es Leute, die krass politisch sind, aber trotzdem popkulturelle Relevanz haben, wie zum Beispiel Stormzy oder Kendrick Lamar“, sagt DISARSTAR. „So was fehlt mir in Deutschland, dazu gibt es hier kein Äquivalent.“ Er würde das selbst niemals so sagen, deshalb machen wir’s: Es hat bislang gefehlt. Bis „Deutscher Oktober“.

„Deutscher Oktober“ ist – nur ein knappes Jahr nach „Klassenkampf und Kitsch“ – das mittlerweile fünfte Album von DISARSTAR, hinzu kommen einige EPs und Mixtapes. Aufgenommen hat er es im endlos scheinenden Corona-Sommer 2020, nachdem sämtliche geplante Konzerte abgesagt wurden und es einfach nichts anderes zu tun gab.
Als die Lockdown-Lethargie ein bisschen verging, kam die Inspiration und der Rapper konnte sich auf die Arbeit an neuer Musik fokussieren, wie vielleicht noch nie. „Ein Freund von mir hat dieses Studio in Vierden, weit außerhalb von Hamburg“, sagt er. „Das ist so ein kleines Kaff mit riesigen Wiesen, das war perfekt.“ Dort verbrachte DISARSTAR den Sommer und produzierte gemeinsam mit dem Songwriter, Produzenten und Multiinstrumentalisten Fayzen und dem Songwriter und Gitarristen Malte Kuhn den Großteil von „Deutscher Oktober“.

Schlechte Nachrichten übrigens für alle, die Rap mit Spoken-Word-Rezitationen verwechseln: Rappen wie der Teufel kann DISARSTAR außerdem! Dieser Mann hat einen gewaltigen Punch, auf „Deutscher Oktober“ kontrolliert der Flow den Beat, nicht andersrum. Und er hat ein außergewöhnliches Pop-Gespür: „Trauma“, einer von zwei Songs mit der Rapperin Nura, ist etwa ganz großes Rap-Theater, eine wild bouncende Underground-Hymne mit strahlendem Refrain, ein absoluter Hit. Musikalisch changiert „Deutscher Oktober“ zwischen Attacke und beinahe zärtlich hingetupften Melodien, zwischen Oldschool-Scratchings und aufs Skelett reduzierten Beat, zwischen Trap-Anleihen und sphärischen Dreampop-Einschüben. Beats, Texte, Melodien: In der Abgeschiedenheit von Vierden entstand alles parallel, man hört dieser Musik in jeder Note den kollaborativen Geist an, in dem sie gewachsen ist.

Mit „Deutscher Oktober“ bringt DISARSTAR seinen scharfsinnigen Polit-Rap so klarsichtig und präzise auf den Punkt wie noch nie. Damit ist es genau das Album geworden, das Deutschrap und Pop-Diskurs jetzt so dringend brauchen.
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